Kurz gefasst für schnelle Leser
Was heute zum Bensheimer Zentrum zählt, war einst außerhalb der Stadtmauern und von Landwirtschaft und Gärten geprägt. Bebauung gab es nur spärlich und das Haus war eines der wenigen, die sich an der Darmstädter Straße befanden. Bereits vor 1877 - dem Jahr der Erbauung - wurde das Grundstück als Gartenfläche von einer Gärtnerei benutzt und verfügte über etliche Gewächshäuser sowie ein Wirtschaftsgebäude (der heutige Nebenbau) für die Beherbergung der Gärtnereimitarbeiter und die Lagerung von Gerätschaften. Nur allmählich füllte sich der Norden mit Straßen und Häusern und so lässt sich die Stadtentwicklung Bensheims an diesem Haus und dieser Straße anhand von Stadtplänen,
Planungsunterlagen und Bildern veranschaulichen.
Wie sah Bensheim im Bereich der Darmstädter Straße 50 um 1877 aus?
Der Stadtplan von 1892 - eine erste Orientierung
1892 war Bensheim noch stark durch die einst von der Stadtmauer begrenzten
Fläche bestimmt und so verwundert es nicht, dass im Stadtplan von 1892, der
nördliche Bereich Bensheims, vom Ritterplatz bis zum heutigem Rathaus
(ehemaliges Konvikt) und der östliche Teil der heutigen Darmstädter Straße als
Neustadt bezeichnet wurde. Der Stadtplan zeigt nur vereinzelt Gebäude, nicht
aber alle schon damals existierenden Gebäude, und kann nicht als verlässliche
Quelle in Bezug auf die tatsächliche Bebauung gesehen werden. So hätte das
Haus Darmstädter Straße 50 eingezeichnet sein müssen, es fehlt aber auf diesem
Plan.
Interessant sind die noch eingezeichneten, alten Wege in der Nähe des Hauses, die heute gänzlich
fehlen. So bildet der damalige "Wasenweg", der entlang der heute noch existierenden
Gartenmauer verlief, die heutige Grundstücksgrenze zwischen der Darmstädter Straße
50 und 48. Dieser führte von der Darmstädter Straße "runter" - also
hangabwärts Richtung Westen - zu der noch in Planung befindlichen
Wilhelmstraße, die im Plan von 1892 noch zu großen Teilen mit schraffierten
Grenzlinien eingetragen ist.
1912 - Der Ausbau der Gehsteige - Die Nordstadt wächst
Dank der genauen Planung der Gehwege im Jahre 1912 lässt sich anhand der Unterlagen ein Eindruck von der noch dürftigen Bebauung am Hang
zwischen Darmstädter Straße und Kaiser-Wilhelm Straße gewinnen. Der
Hangbereich Richtung Kirchberg hingegen weist bis auf wenige Gebäude (Anwesen
Dr. dent. Otto Stock) die heute bekannte Bebauung auf. Ergänzt man diese Angaben um die im Denkmalschutzportal1 gespeicherten Jahresangaben der Errichtung zu den Häusern lässt sich die Entwicklung schon genauer darstellen.
Die Stadtpläne von 1917 und 1924
Sowohl im Stadtplan von 1917 (gezeichnet von einem Geometer) als auch im Stadtplan von 1924, eine skizzenhafte „Beilage zum Adreßbuch“,zeigt sich auch weiterhin
die Nutzung des westlichen Teils der Darmstädter Straße in Form von großen
Gärten, die zu den wenigen Häusern gehören, bzw. unbebaut sind. So befand sich
im Süden die „Villa Irene“ (1820) (heutige Darmstädter Straße 38), deren Gärten bis
fast an das Grundstück Darmstädter Straße 50 heranreichten, im Norden lag
das „Amtsgebäude“ (1860; heutige Darmstädter Straße 56). Dominiert wurde die
Darmstädter Straße von der 1863 erbauten Michaelskirche und dem Rodensteiner
Hof (1739). Der östliche Teil der Darmstädter Straße wurde zunehmend von den
neuen, imposanten Metzendorff-Villen geprägt.
Ausschnitt aus dem Stadtplan von 1917, Stadtarchiv Bensheim |
Das Haus und das Grundstück im Detail - Eine Zwangsversteigerung
Das Grundstück Darmstädter Straße 50 war Bestandteil einer Gärtnerei und besaß,
wie im „Meßbrief nebst Theilungsplan“2 von 1888 gezeigt,
Gewächshäuser (Süd, Südost). Ob diese bereits vor dem Bau des Hauses oder des Wirtschaftsgebäudes existiert
haben und wie lange diese auf dem Grundstück verblieben, lässt sich anhand der bekannten Akten nicht feststellen, allerdings ist
die Nutzung der Grundstücke als Gärten, meist als Gemüse- und Obstgärten, auch
im Falle anderer Häuser bekannt. Der Nebenbau des Anwesens bestand bereits vor
dem eigentlichen Haupthaus und gehörte als
Wirtschaftsgebäude zur Gärtnerei.
Im Nachlass Franz Xaver Stolls, dem Käufer des Anwesens im Jahre 1888, finden sich Unterlagen, die zeigen, dass das Grundstück nebst Immobilie aufgrund einer Zwangsversteigerung veräußert werden mussten. Dieser Plan zeigt alle Gebäude.
Im Nachlass Franz Xaver Stolls, dem Käufer des Anwesens im Jahre 1888, finden sich Unterlagen, die zeigen, dass das Grundstück nebst Immobilie aufgrund einer Zwangsversteigerung veräußert werden mussten. Dieser Plan zeigt alle Gebäude.
Ein Kaufbrief vom 31. März 1888 weist die Flurstücke auf, die Johann Adam
Treiber und Frau an Franz Xaver Stoll verkauften. Besitzer des gesamten
Komplexes scheint ein gewisser „Johann Adam Treiber zu Bensheim und Katharina
Stephani, geb. Birkhard“ gewesen zu sein, gegen die Karl Friedrich Klein aus
Birkenau eine Zwangsversteigerung einleitete. Bei dieser Zwangsversteigerung
erhielt Franz Xaver Stoll (1834 – 1902) am 8. November 18883 den
Zuschlag und erwarb so die im Messbrief eingezeichneten Flurstücke.
Im Lageplan von 19074 sind die Grundstücke bereits zusammengeführt
und neu bezeichnet. Die im Messbrief eingezeichneten Gewächshäuser sind
verschwunden und es sind nur noch das Haupthaus und die unmittelbar
angrenzenden Nebengebäude zu erkennen. Zudem wurde im westlichen Gartenbereich
ein weiteres Teilstück hinzuerworben.
Luftbilder - So sah es in den 1920er und 1930er Jahren aus
Ein sehr frühes Luftbild zeigt den Bereich zwischen der Darmstädter Straße 50 und "Villa Irene" noch als unbebautes Gebiet.
Ein sehr frühes Luftbild zeigt den Bereich zwischen der Darmstädter Straße 50 und "Villa Irene" noch als unbebautes Gebiet.
Der 1907 erfasste Zustand spiegelt sich auch noch in einem Luftbild aus den späten 1920er Jahren wieder, welches eigentlich das Bischöfliche Konvikt zeigt (heutiges Rathaus). Hier ist allerdings schon das Anwesen Darmstädter Straße 48 hinzugekommen.
Ein Luftbild aus dem Jahre 1935 zeigt Bensheim aus östlicher Richtung und der Abschnitt Darmstädter Straße - insbesondere der Osten - zeigt sich noch "dünn besiedelt".
Literaturhinweise und Links
1) DenkXweb, https://denkxweb.denkmalpflege-hessen.de/440/ (zuletzt besucht am 25.06.2020)
2) Nachlass Franz Xaver Stoll: Meßbrief nebst Theilungsplan über die Parzelle
Nr. 48 3/10, 49 2/10, 48 1/10, 48 2/10 & 49 6/10; Flur XVII, Abteilung A,
Gewann: Im Sand; vom 21. Juli 1888.
3) Nachlass Franz Xaver Stoll: Versteigerungsurkunde vom 9. Januar 1889.4) Nachlass Franz Xaver Stoll: Großherzoglicher Geometer I. Klasse A Hofmann, Bensheim: Lageplan für Frau Professor Dr. Franz Xaver Stoll Witwe in Bensheim, 31. Dezember 1907.