Fließendes Wasser - Ein Luxus der Neuzeit

Heute wäre es unvorstellbar, dass der morgendliche Alltag nicht mit einer heißen Dusche beginnen, sondern durch einen kalten Waschlappen aus einer Waschschüssel vermiest würde. 

Während heute bereits beim morgendlichen Ritual des Toilettengangs, der Dusche und dem Zähneputzen mal eben 200 Liter Wasser in bester Lebensmittelqualität durch unüberlegtes Drehen eines Wasserhahnes heraussprudelt und wenige Sekunden später im Abfluss verschwindet, mussten die Bewohner der Darmstädter Straße 50 am Ende des 19. Jahrhunderts das Wasser noch ins Haus tragen und es zuvor mühselig "organisieren".

Bensheimer Häuser - damals und heute - Zeitleiste über die Wasserversorgung und Wassernutzung in Bensheim ab 1877 am Beispiel des Anwesens Darmstädter Straße 50; Darstellung: Frank-Egon Stoll-Berberich, 2020.
Zeitleiste über Wasserversorgung und Wassernutzung

Von Schwengelpumpe und Laufbrunnen - sparsame Zeiten

Wie und woher das Wasser im Jahre 1877 ins Anwesen Darmstädter Straße 50 kam, lässt sich nicht mehr ganz sicher nachvollziehen, aber mühselig muss es gewesen sein. Eine städtische Wasserversorgung gab es nach heutigen Vorstellungen noch nicht. 
 
Nachweisbar ist für Bensheim eine koordinierte und von städtischer Seite geregelte Versorgung einiger weniger Häuser mit abgezweigtem Wasser aus den Quellen der Laufbrunnnen ab 1880. Weniger Jahre später, nämlich im Jahre 1894, wurde aufgrund der erhöhten Nachfrage die Schaffung von Tiefbrunnen und somit der Einsatz von Pumpwerken und Wasserspeichern notwendig. Dies darf als Beginn einer Wasserversorgung nach heutigen Maßstäben gesehen werden.1
 
Die im Stadtgebiet befindlichen Laufbrunnen, die mit frischem Wasser der Bergstraße bzw. Odenwald gespeist wurden, konnten zwar für zur Deckung des Wasserbedarfes normaler Haushalte genutzt werden, im Falle der Darmstädter Straße 50 wäre dies aber keine echte Alternative gewesen, da die auf dem Grundstück befindliche Gärtnerei nicht mit "Wasserholen" hätte versorgt werden können. Eine Schwengelpumpe auf dem Grundstück dürfte wahrscheinlich gewesen sein, jedoch sind heute keine Spuren mehr vorhanden.
 
Die im Haushalt benötigte Wassermenge war im Vergleich gering, wurde doch die Körperpflege über Waschschüsseln abgewickelt und belief sich somit auf wenige Liter am Tag. Auch in der Küche dürfte Wasser nur für das allernötigste zum Einsatz gekommen sein und das Wäschewaschen ist mit dem heutigen "Waschwahn" nicht vergleichbar. In allen Fällen konnte das "Abwasser" weiterverwendet werden, da aggressive Reinigungsmittel, wie wir sie heute kennen, nicht eingesetzt wurden. So gelangten das Wasser der Morgentoilette und das Spülwasser auch unkompliziert im Garten. 

Einen plötzlichen Anstieg des Wasserbedarfs brachte die Einführung der Toiletten mit Kanalanschluss, denn ein Kanal muss gespült werden und dazu braucht man Wasser.

Anschluss an die Wasserleitung - Einschaltung des Wassermessers

Im Jahre 1906 installierte die Stadt Bensheim einen Wassermesser in der Auerbacher Straße 76 (heutige Darmstädter Straße 50), dies ist der einzige Beleg, der aus den frühen Tagen des Hauses noch zu finden ist und in Bezug zu einer organisierten Wasserversorgung steht. Der Wassermesser musste gemietet werden, die Kosten wurden nach dem Durchmesser der Leitung errechnet.
 
Bensheimer Häuser - damals und heute - Die Urkunde über den Anschluss eines Wassermessers in der Darmstädter Straße (früher Auerbacher Straße 76) aus dem Jahre 1906 ist der einzige Beleg über den Anschluss des Anwesens an ein städtisches Wassernetz.
Urkunde über den Anschluss der Wassermessers 1906

Waschküche, Toilette und Küche... mehr nicht

Das einzige, was an den "historischen Moment" des fließenden Wassers im Anwesen Darmstädter Straße 50 heute noch erinnert, ist der Wasserhahn und das Waschbecken in der Waschküche im Nebenbau, aber weder die Zuleitung, noch der Abfluss sind noch angeschlossen.
 
Bensheimer Häuser - damals und heute - Die einzigen Zeugen einer frühen Wasserversorgung des Anwesens Darmstädter Straße 50 in Bensheim, der Wasserhahn und das Waschbecken, vermutlich um 1906. Bensheimer Häuser - damals und heute - Die einzigen Zeugen einer frühen Wasserversorgung des Anwesens Darmstädter Straße 50 in Bensheim, der Wasserhahn und das Waschbecken, vermutlich um 1906.

Da die Toilettenspülung im Rahmen des Kanalanschlusses angeschlossen wurde, legte man auch gleich einen Anschluss in das danebenliegende Bügelzimmer (EG SW) und zog mit dem Ofen der eigentliche Küche (EG NW) in die damit neu geschaffene Küche. Allerdings hatte dies den Nachteil, dass der Boden immer noch der Holzfussboden war und kein Zementfliesenboden, wie er in der ursprünglichen Küche vorlag. Die späteren Mieter erhielten die eigentliche Küche, allerdings ohne Wasseranschluss... man kann nicht alles haben! 

Das Haus an sich, also die Wohnräume, hatten auch weiterhin kein fließendes Wasser, ein Zustand, der sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg ändern sollte, als aufgrund der Einquartierungen das Herrenzimmer (Erste Etage NW) zu einem "Multifunktionsraum" umgebaut wurde, in welchem ein Wasseranschluss, eine Spüle, ein Heiz- und Küchenofen verbaut wurde.

Badetag... ohne fließendes Wasser und Badezimmer

Zuerst kamen die Eltern, dann die Kinder und alle im selben Wasser der bescheidenen Zinkbadewanne. Was heute unvorstellbar wäre, war damals Normalität. Einmal die Woche war Badetag und so sah er aus: Eine Sitzbadewanne, also eine Zinkwanne mit Rückenlehne wurde in der Küche (Erste Etage NW) mit warmen Wasser aus der Küche gefüllt und dort kam die ganze Familie freitags oder samstags rein. Alle Familienmitglieder nacheinander... der jüngste zuletzt, der wahr eh am schmutzigsten. Das Ganze ging also ohne Badezimmer und mit sehr wenig Wasser vonstatten.
Die tägliche Wäsche: Gesicht, Arme, Füße und die berühmten "Vier Buchstaben" erfolgte an der Waschschüssel im jeweiligen Schlafzimmer.

Sommerfrische... der Pool der 1950er Jahre

 Bensheimer Häuser - damals und heute - Die Zinkbadewanne als Badezimmer. Aufgrund eines fehlenden Badezimmers wurde eine Zinkbadewanne mit Wasser aus der Waschküche entweder im Hof oder Waschküche am Badetag - meist samstags - gefüllt und von der ganzen Familie genutzt.

Eine größere Zinkwanne konnte wahlweise in die Waschküche oder in den Hof getragen und dort mit Wasser gefüllt werden. Einfach und effizient. Im oberen Bild ist eine typische Szene während der Sommermonate an der Bergstraße zu sehen. Im Schatten des Nebenbaus wurde die Wanne aufgebaut und diente dort nach der schweißtreibenden Gartenarbeit der Abkühlung.

Jetzt wird's eng - Die Einquartierungen 1945 bringen Behelfslösungen

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird es eng in der Darmstädter Straße 50. Neben der sechsköpfigen Familie Stoll und der Mieterin Anna Kirchbach gesellen sich zeitweise bis zu zwei weitere Haushalte dazu. Diese müssen in der unteren Etage untergebracht werden und so bleibt kaum noch Platz für die Besitzer des Hauses. Das ursprüngliche Herrenzimmer wird zu einer Wohnküche mit Badezimmerfunktion. Es wird ein Küchenherd in das nordwestliche Zimmer gesetzt, eine Frisch- und Abwasserleitung aus dem Keller in das Zimmer gelegt und so die Möglichkeit geschaffen, Wasser zum Kochen, Abwaschen und Körperpflege in diesem kleinen Raum zu nutzen. Das Abwaschen und die Körperpflege fand in der Küchenspüle statt. Eine Intimsphäre wurde nur durch einen Vorhang geschaffen.

Die Familie wächst - Wasserversorgung in der 2. Etage

Mitte 1966 zieht der Freund und spätere Ehemann der Enkelin der Hausbesitzerin mit in die kleine Wohnung in der 2. Etage und es wird ein Waschbecken installiert. Somit kann die junge Familie, die 1970 noch Zuwachs erhält in der oberen Wohnung ein etwas autarkeres Leben führen. Die Toilette befindet sich weiterhin im Erdgeschoss.


1973 - Das Haus als Mietobjekt - Badezimmer und Toilette im Bereich der Wohnräume

1973 verstirbt die Hausbesitzerin, und das Anwesen wird an den Sohn bzw. die Schwiegertochter, die im Neubau nebenan wohnen, vererbt, aber nun steht das Haus im Erdgeschoss leer. Auch das Obergeschoss wird kurz darauf frei, da die Mieterin - nach fast 60 Jahren Miete - in ein Altenheim geht. Eine Vermietung bedarf einer grundlegenden Aufwertung. Neue Fenster, Instandsetzung der Fassade und ein vollwertiges Badezimmer (siehe: Erste Etage) muss her. So wird durch Unterteilung des südwestlichen Zimmers in der Ersten Etage ein Badezimmer, welches über Waschbecken, Toilette und Dusche verfügt. Zeitgleich erhält die obere Etage eine Toilette (siehe: Zweite Etage).
 

1993 - Noch ein Badezimmer

Bei der 1993 durchgeführten Aufwertung der Immobilie wird ein weiteres Badezimmer in der zweiten Etage des Hauses geschaffen. Eine Dusche nebst Waschbecken werden in das südwestliche Zimmer der Zweiten Etage gesetzt.

2017 - Wasserrohrbruch - Der Fluch von moderner Technik in alten Häusern

2017 stellten die Mieter fest, dass es etwas feucht roch im Badezimmer der Ersten Etage und es zeigte sich, dass das Abflussrohr der Toilette einen Riss hatte. Dies führte zu einem Öffnen der verschiedenen Lagen und Schichten der Bausubstanz und bot Einblicke in die Konstruktion des Hauses. Näheres zu dem Vorfall und den Instandsetzungsarbeiten: Wenn die Toilette undicht ist.



Links und Einzelnachweise

1) Matthes, Richard (1949): Rund um den Kirchberg, Eine Heimatkunde für die Schule, Bensheim, Seite 41f.
 
© Frank-Egon Stoll-Berberich, 2020, Alle Rechte vorbehalten.