Die Inneneinrichtung - Der Versuch einer Rekonstruktion

Wie es vor 140 Jahren ganz genau in der Darmstädter Straße 50 aussah, lässt sich nur rudimentär rekonstruieren, auch die Jahrzehnte dazwischen lassen sich nur anhand weniger Fotos nachweisen. 

Alte Einrichtungsgegenstände bis heute erhalten - Dank KI auch in Farbe

Trotz der langen Zeit und der wenigen Fotos lässt sich ein Eindruck anhand von Fotos aus den 1930er Jahren gewinnen. Die meisten Einrichtungsgegenstände des Jahres 1888 sind auch heute noch erhalten und wurden bis in die 1970er Jahre auch im Haus genutzt. Mithilfe von KI-Programmen lassen sich die schwarz-weiß Bilder auch einfärben und so ein noch besserer Eindruck vom Leben in den vier Wänden gewinnen.

Erste Etage - Das Herrenzimmer - Biedermeier lässt grüßen!

Franz Xaver und Katharina Stoll zogen im Jahre 1888 in das Wohnhaus und sie nahmen ihre Möbel aus ihrer Wohnung am Bensheimer Marktplatz mit. Franz Xaver Stoll dürfte nur wenige Gegenstände besessen haben, die er von seinen Eltern geerbt hatte, denn seine Jugend war von härtesten Schicksalsschlägen geprägt, das Vermögen seiner Eltern verlor auf tragische Art. Seine Frau stammte aus einer ortsansässigen Metzgerfamilie und brachte im Rahmen der "Aussteuer" vermutlich auch ein paar Möbel mit in die Ehe. 

Bilder aus den 1930er Jahren - hier nachträglich eingefärbt - zeigen die Wohnungseinrichtung im Bereich des Wohn- bzw. Herrenzimmers des ersten Stocks, die aus den ersten Tagen des Wohnhauses stammten. Die Stilrichtung der Möbel in der "guten Stube" wurde "Biedermeier" genannt und nur die Tapete bzw. der Bezug des Sofas dürften verändert worden sein.

Tapetenwechsel um 1940 - Andere Tapete und mehr Bilder

Vom gleichen Zimmer, fast vom selben Standort aus wurde die unten gezeigten Bilder der guten Stube aufgenommen und zeigen, dass die Tapete erneuert wurden und vor allem noch mehr Bilder im Biedermeierstil die Wände schmücken. Diese Bilder zeigen zwar Motive im Stile des Biedermeiers, wurden jedoch vom Hausherrn persönlich angefertigt, um es noch wohnlicher zu gestalten.




Erste Etage - Arbeitszimmer um 1910

Eine alte Aufnahme aus dem Arbeitszimmer Joseph Stolls (vermutlich das Zimmer "1.Etage O") zeigt eine in zwei Farben gestrichene Wand, die durch drei Zierstriche voneinander getrennt waren. Es ist die einzige Aufnahme, die aus dieser frühen Zeit stammt und aus dem Innenbereich des Hauses stammt.

 

Historische Rechnungen als Hinweise auf die Innenraumgestaltung

Das obige Bild deckt sich mit den Angaben, die sich aus einer detaillierten Rechnung des Weißbinders Eisenmenger von 1906 aus Bensheim ablesen lassen. In der Rechnung werden die Arbeiten für das Esszimmer und das Mittelzimmer der ersten Etage aufgelistet. Bei diesen Arbeiten wurden die Tapeten entfernt, die Wände teilweise auch neu verputzt und "abgefilzt" und anschließend mit Leimfarbe gestrichen.
 
Die Detailarbeiten werden auch genannt. So verweist der Malermeister auf die "Linierung", die "Schablonenmalerei" und "Hausmalerei", wobei beim letzten Begriff nicht ganz klar ist, was dies bedeutet.
 
Nicht nur die Wände wurden neu gestaltet, sondern auch die Türen gestrichen und der Sockel ausgebessert. 

Eine weitere Rechnung - leider weniger detailliert - aus dem Jahre 1902 listet die Arbeiten in einem nicht näher benannten Zimmer und in der Küche (Erdgeschoss NW) auf. Hier wurden die Decke geweißt und die Wände abgewaschen und neu getüncht und zuvor mit Zement ausgebessert.
 
Rechnung des Weißbindermeisters Carl Mühlum aus Bensheim von 1902 über Arbeiten im Innenbereich des Anwesens Darmstädter Straße 50 in Bensheim.
Rechnung von 1902
Rechnung des Weißbindermeisters Carl Eisenmenger aus Bensheim von 1906 über Arbeiten im Innenbereich des Anwesens Darmstädter Straße 50 in Bensheim.
Rechnung von 1906

 

Erste Etage - Wohnzimmer um 1930

Während das Herrenzimmer noch in der Pracht des Biedermeiers erstrahlte, zeigt sich das Wohnzimmer im Charme der 1930er Jahre. Schwere Stoffe / Teppiche halten die Kälte von den Wänden beim Schmökern auf dem Kanapee fern. 

Zweite Etage - Die Mietwohnung um 1930 - Gründerzeit

Frau Anna Kirchbach, eine wohlhabende Künstlerwitwe, lebte fast 60 Jahre im Anwesen und brachte zusammen mit ihrem Mann die Einrichtung ihrer Wohnung aus Frankfurt am Main mit nach Bensheim. Das Ehepaar verkehrte in bekannten Frankfurter Künstlerkreisen und auch die Brüder Max Kirchbachs schenkten dem Ehepaar etliche Kunstwerke, die in der Wohnung Platz fanden. Der bedrückende Gesamteindruck, der durch die dunklen Wände (dunkelgrün) und die dunkelroten, gemusterten Stofftapeten entstand, trügt nicht. Etliche der Möbel, die heute noch existieren, wurden in den 2000 Jahren weiß gestrichen, um in einer modernen Wohnung genutzt werden zu können.
 



Die Wandgestaltung bzw. die Tapeten

Während der Sanierung im Jahre 1993 wurden die alten Tapeten entfernt, um die Elektroinstallation zu erneuern und zu erweitern. Dabei traten im Obergeschoss etliche, sich überlagernde Motive der ehemaligen Wandgestaltung zu Tage.
 
Es handelte sich dabei nicht um Tapeten, wie man sie heute kennt, sondern um Muster, die mithilfe von Farbmusterrollen im sogenannten Rollstempeldruck aufgebracht wurden.
Diese Technik wurde vor rund 140 Jahren entwickelt und hatte ihre Blütezeit in den 1930 - 1960er Jahren.
 
 
 
 
NLFXS_Haus_Originale_Haus_Fotos_036; Rekonstruktion des Rollstempeldrucks im Obergeschoss der Darmstädter Straße in den 1920er Jahren. Mithilfe einer Musterwalze konnte die zuvor im gewünschten Farbton gestrichene Wand mit Mustern versehen werden. Eine Technik, die vor rund 140 Jahren entwickelt und insbesondere zwischen den 1930er und 1960er Jahren sehr populär war; Gestaltung: Frank-Egon Stoll-Berberich, 2020.
 
 

 

Die Türen - Mal "gemasert", mal braun, jetzt weiß. 

Wenn man das Haus im Jahre 1877 betreten hätte, dann wären - unabhängig von der jeweiligen Wandgestaltung - die Türen in einem Braunton gehalten gewesen, wie er im oberen, nachcolourierten Bild gezeigt wird. Die Maserung der Türen wurde durch einen dunkleren Braunton hervorgehoben. 

Die Inneneinrichtung im oberen Bild zeigt einen Stollenschrank (Historismus) und in den 1930er Jahren angefertigte Stühle (Barock). Die Tapete hatte eine Abschlußbordüre.

Im Laufe der Zeit - spätestens ab der Vermietung 1973 - wurden die Türen in einem dunklen Braun überstrichen und in den 1990er Jahren in weiß einheitlich gestaltet.


Nützliche Links

A) Fotos nachkolorieren - Image Colorizer, zuletzt besucht am 06.10.2020.

B) Restaurator im Handwerk e. V. (Hrsg.) (2014): Birger Jesch, Der Rollstempeldruck in der Raumdekoration des 20. Jahrhunderts, In: Restaurator im Handwerk, Seite 31-37.

C) Werkstatt Birger Jesch (2016): Sächsisches Rollstempelarchiv, Musterwalzen Made in Germany, musterwalzen.de.

D) Katalog für Leihwalzen- und Geräte, www.strukturwalzen.de

Verfügbare Dokumente

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